Heute gibt es wieder eine neue Kurzgeschichte, die noch ziemlich frisch ist. Schreibt mir einfach in die Kommentare, was ihr von der Geschichte haltet!
Anton
Der
Junge stand, wie jeden morgen schon eine halbe Stunde bevor sein Bus fuhr an
der Bushaltestelle. Er wusste genau, wann wer kommen würde und wer sich
verspätete. Wollte der Busfahrer schon losfahren, obwohl die, die oft zu spät
kamen noch nicht da waren, hielt er den Bus auf. Entweder verwickelte er den
Fahrer in ein Gespräch, legte sich vor den Bus oder täuschte irgendein akutes
Krankheitsbild vor, bis der letzte Passagier kam. War die Person jedoch krank, entschuldigte er
sich höflich.
Er hieß
Anton. Der Name war alt, aber er selbst sehr jung. Er liebte die Wörter blau und Murmel, weil das L da so
schön weich klang und er liebte gedruckte Buchstaben auf chlorfrei gebleichten
Papier und den Geruch der Seiten. Außerdem liebte er das Gefühl bei einer
Rückwärtsrolle, wenn der Kopf gerade zwischen den Knien ist und man fast nach
rechts oder links kippt. Manchmal blieb er für Minuten in dieser Position. Sein
Traum war es Astronaut zu werden, denn dieser Wunsch kam von innen und nicht
von außen, was schwierig war, da ihm immer alle sagen wollten, was er gut und
nicht so gut konnte. Zugegeben, er konnte nicht gut schwimmen, aber das lag
hauptsächlich am Wasser, denn das mochte ihn nicht. Und ja, er hatte noch nie
eine Sportmedaille gewonnen, aber wenn er es gewollt hätte, hätte er es sicher
geschafft-vielleicht….
Er hatte
ein kugelrundes Gesicht und war auch sonst eher stämmiger gebaut-schwere
Knochen eben. Dafür hatte er eine weitere Gabe: Wenn er Gebäck aß, konnte er
genau erkennen, welche Inhaltstoffe dieses besaß. So sagte er in der
Weihnachtszeit beim Spekulatius Essen oft: „Mmmh…mit Natriumhydrogencarbonat-so
muss das sein!“
Auch am
07. März 1997 stand er an der Bushaltestelle. Nicht pünktlich, aber zu früh um
06:43 Uhr. Zur selben Zeit ging eine Frau in Ohio gerade rückwärts eine Straße
längs, ein Mann in Australien sang „What shall we do with the drunken
sailor“-mit Zahnbürste im Mund, ein Kanadier sah in Österreich die polnische
Synchronfassung von „Star Wars“ mit türkischen Untertiteln und ein Hase
beschloss, während er auf seinem Löwenzahn kaute, eine andere Sprache zu
lernen, vielleicht die der Hamster, vielleicht auch nicht.
Anton
stand also da, schloss die Augen und atmete die kühle Luft ein, noch roch sie
nicht nach Abgasen, sondern eher nach Erdbeermarmelade und der Tag war ein
guter Tag, wäre er eine Farbe gewesen, so dachte Anton, wäre es Orange. Ein
Orange kurz vorm Abendrot. Anton sah den ersten Schmetterling des Jahres in der
Luft herumtänzeln und betrachtete fasziniert die grün gesprenkelten Flügel. Der
Schmetterling setzte sich auf Antons Nase, der nun schielte um seinen
Nasenbewohner näher betrachten zu können. Vorsichtig neigte er den Kopf zur
Seite und der Schmetterling flog davon. Pünktlich um 06:46 Uhr kam die graue
Frau, heute trug sie einen kurzen Rock mit Blumen und eine weiße Bluse-es
änderte nichts, sie blieb die graue Frau. Sie betrachtete sich im Handspiegel
und puderte ihr Gesicht-der Bus kam und Anton machte sie darauf aufmerksam,
bevor er vorbeifuhr. Sie steckte den Spiegel hastig ein, sodass ein Lippenstift
herausfiel-sie merkte es nicht. Beim Hinfallen malte er kleine Punkte auf den
Asphalt. Die Straße hat jetzt
Sommersprossen, dachte sich Anton. Auch alle die anderen kamen, der Junge
mit dem Basketball, die Frau, die ihr Kind fest am Handgelenk hielt, der ältere
Herr mit dem Hund und der ungepflegte Mann aus dem alten Haus, das immer etwas
unbewohnt ausgesehen hatte. Dann kamen die Schüler und Anton sorgte
gewissenhaft dafür, dass jeder seinen Bus bekam.
Am Ende
stand er ganz alleine da, denn bei all der Aufregung hatte er seinen eigenen
Bus verpasst, wie so oft. Doch er lächelte, denn der Frühling war da, die
Straße hatte Sommersprossen und irgendwann würde er Astronaut sein.
Wahrscheinlich.